Entscheidungen, die tragen – Teil 1: Warum du nicht unentschlossen, sondern vielschichtig bist
Serie: Entscheidungen, die tragen – 5 Perspektiven für Klarheit und innere Stimmigkeit
Du sitzt mit einer Tasse Kaffee am Tisch.
Vor dir: ein leeres Blatt, dein Lieblingsstift – und der innere Druck, „endlich eine Entscheidung zu treffen“. Drei Möglichkeiten liegen auf dem Tisch. Alle haben etwas für sich. Keine fühlt sich wirklich falsch an – aber auch keine richtig genug, um zu springen. Du denkst, fühlst, rechnest, spürst. Und bleibst stehen.
Im Hintergrund meldet sich eine Stimme:
„Warum kannst du dich nicht einfach entscheiden?“
Vielleicht ist es deine eigene. Vielleicht klingt sie wie jemand, der es gut meint. Und du fragst dich: Bin ich zu verkopft? Zu emotional? Einfach nur unentschlossen?
Die Antwort könnte lauten: Nein – du bist nicht unentschlossen. Du bist vielschichtig.
Entscheidungen, die klemmen – was wirklich dahintersteckt
Viele Frauen erleben genau das: Eine Entscheidung steht an – beruflich, privat, innerlich – und statt Klarheit breitet sich Unruhe aus.
Was nach „Unentschlossenheit“ aussieht, ist oft in Wahrheit etwas ganz anderes:
- Es ist Ambivalenz. Zwei gegensätzliche Sehnsüchte ringen um Gehör.
- Es sind Loyalitäten. Ein Teil in dir möchte nicht verletzen oder enttäuschen.
- Es ist Unklarheit über die Reife der Entscheidung. Manchmal ist einfach noch nicht alles da, was du brauchst.
- Es ist deine Tiefe. Du spürst, dass es nicht nur um dich geht – und nimmst das ernst.
In einer Welt, die schnelle Antworten liebt, wirkt das wie ein Defizit.
In Wirklichkeit ist es ein Zeichen von Reflexionsfähigkeit.
Vielleicht denkst du: „Ich müsste es doch längst wissen.“
Vielleicht ist die Wahrheit: Du nimmst dir (noch) die Zeit, wirklich hinzuschauen.
Ein anderer Blick: Du bist nicht unklar – du bist komplex
Was wäre, wenn du nicht unentschlossen, sondern vielschichtig bist?
Wenn dein „Nicht-Wissen“ kein Versagen, sondern ein Zwischenton ist, der gehört werden will?
Systemisch betrachtet besteht jeder Mensch aus inneren Anteilen, Rollen, Stimmen. Entscheidungen sind keine Solo-Akte, sondern innere Dialoge.
Wer entscheidet da eigentlich in dir?
- Die Vernünftige?
- Die Kreative?
- Die Vorsichtige?
- Die Rebellin?
Oft haben sie ganz unterschiedliche Ziele, Sprachen, Bedürfnisse – und begegnen sich im Alltag kaum. Die Folge: Es stockt. Nicht, weil du unfähig bist zu entscheiden, sondern weil dein inneres Team gerade ohne Moderation arbeitet.
Klarheit entsteht nicht, wenn eine dominiert – sondern wenn sie ins Gespräch kommen.
Und das braucht:
Raum. Zeit. Struktur.
Entscheidungskraft ist kein Knopfdruck
Viele sogenannte Entscheidungsschwierigkeiten sind in Wahrheit Ordnungsfragen.
- Wer darf mitreden?
- Wer hat die Führung übernommen?
- Wer wurde übergangen?
Wenn du versuchst, dich zu einer Entscheidung zu zwingen, ohne zu klären, wer gerade das Steuer hält, wirst du innerlich nicht mitgehen. Dann fühlt sich alles wacklig an – selbst wenn du äußerlich längst „ja“ gesagt hast.
Und: Je wichtiger, emotionaler oder weitreichender eine Entscheidung ist, desto eher melden sich auch alte Prägungen, Rollenbilder, Ängste. Vielleicht willst du niemanden enttäuschen. Vielleicht hast du gelernt, dass Sicherheit immer Vorrang hat. Vielleicht verknüpfst du Entscheidungen mit Endgültigkeit – und damit mit Verlust.
In diesen inneren Feldern braucht es kein schnelles Urteil – sondern einfühlsame Sortierung.
Wie du dich innerlich sortieren kannst
Wenn eine Entscheidung klemmt, kann es helfen, weniger nach der „richtigen Antwort“ zu suchen – und stattdessen nach innen zu hören. Nicht im Sinne von esoterischer Selbstversenkung, sondern im Sinne echter Reflexion.
Statt Was soll ich tun? kannst du fragen:
- Welcher Teil in mir will was – und warum? → Was ist das Bedürfnis hinter der Option? Und von wem kommt es?
- Wovor schützt mich mein Zögern? → Vielleicht ist es kein Widerstand, sondern Fürsorge.
- Was würde passieren, wenn ich mir erlaube, es noch nicht zu wissen? → Welche inneren Räume würden sich öffnen, wenn kein Druck wäre?
- Welche kleine Entscheidung könnte ein nächster Schritt sein? → Muss ich jetzt springen – oder könnte ich erstmal am Rand stehen bleiben?
Diese Fragen bringen Bewegung ins System – nicht durch Zwang, sondern durch Kontakt.
Klarheit entsteht nicht immer durch Denken.
Manchmal entsteht sie durch Beziehung – zu dir selbst.
Zwischen Innenwelt und Außenwelt vermitteln
Ein häufiger Konflikt: Du weißt innerlich sehr genau, was du brauchst oder willst – aber im Außen scheint das nicht umsetzbar zu sein. Vielleicht, weil Erwartungen, Verpflichtungen, Unsicherheiten dazwischenstehen.
Hier lohnt sich ein Perspektivwechsel:
Entscheiden heißt nicht immer, sofort alles umzusetzen.
Entscheiden kann auch heißen: Ich anerkenne für mich, was wahr ist – auch wenn ich (noch) nicht handle.
Das ist keine Schwäche. Das ist Integrität.
Manchmal ist eine Entscheidung zuerst ein innerer Schritt.
Ein Sich-ausrichten, bevor das Außen folgen kann.
Was trägt – und was trägt nicht?
Wenn du deine Entscheidung innerlich sortierst, entsteht eine neue Frage: Was trägt mich – auch dann, wenn es unbequem wird?
Denn Entscheidungen, die wirklich tragen, sind nicht immer leicht.
Aber sie sind verbunden mit dir.
Mit deinen Werten, deiner Intuition, deinem inneren Kompass.
Das Gegenteil davon sind Entscheidungen, die dich „richtig“ erscheinen lassen – aber innerlich entkoppeln. Entscheidungen, die auf Kompromissen beruhen, die niemand ausgesprochen hat. Entscheidungen, bei denen du dich selbst verlierst, um andere zu halten.
Hier beginnt ein anderer Weg: Du entscheidest nicht GEGEN etwas – sondern FÜR etwas, das in dir stimmig ist.
Die Einladung zur Tiefe
Entscheidungen sind selten schwarz oder weiß.
Sie sind oft vielstimmige Prozesse, in denen du nicht nur Ja oder Nein sagst – sondern dich selbst neu ordnest.
Deshalb ist es keine Schwäche, wenn du stockst. Es ist ein Zeichen dafür, dass du mehr berücksichtigst als das Offensichtliche.
Wenn du dir erlaubst, unklar zu sein, ohne dich dafür falsch zu machen, entsteht mit der Zeit genau das, was du suchst: Klarheit, die nicht überrollt – sondern trägt.
- Du musst dich nicht zwingen, klar zu sein.
- Du darfst lernen, in deiner Tiefe Ordnung zu schaffen.
- Und von dort aus: entscheiden.
Mikroimpuls zum Mitnehmen
Beim nächsten Mal, wenn du spürst: „Ich müsste mich jetzt entscheiden“, halte kurz inne und frage dich:
„Was in mir ist gerade noch nicht gehört worden?“
Das allein kann reichen, um Bewegung in festgefahrene Gedanken zu bringen.
Denn: Der erste Schritt zu tragfähigen Entscheidungen ist oft nicht das Ja oder Nein –
sondern die Entscheidung, dir selbst wirklich zuzuhören.