Mit dem Leben in Beziehung bleiben – Resilienz systemisch gedacht

Ein persönlicher Blick aus systemischer Perspektive

Resilienz ist ein viel verwendetes Wort. Man liest es in Ratgebern, in Artikeln über Stress, Führung oder persönliche Entwicklung. Oft wird es mit psychischer Stärke gleichgesetzt, mit Durchhaltevermögen oder der Fähigkeit, „trotz allem“ weiterzumachen.

Ich sehe das anders.

Für mich ist Resilienz keine Technik und kein Merkmal, das man hat oder nicht hat. Sie ist auch kein Ziel, das man erreichen kann.

Resilienz ist – in meinem Verständnis – eine innere Haltung. Eine Form von Beziehung: zu mir selbst, zu anderen, zur Welt und zu dem, was mich umgibt.

Und sie beginnt mit einer Grundannahme, die ich aus der systemischen Perspektive übernommen habe: Alles hängt mit allem zusammen.

Resilienz beginnt mit einem Weltbild

Die Art, wie wir auf das Leben schauen, prägt unsere Fähigkeit, mit Wandel umzugehen. Eine systemische Haltung ist für mich keine Methode, sondern ein inneres Weltbild – zutiefst humanistisch, verbunden, offen.

Sie richtet sich nicht nur auf Menschen, sondern auf alles Lebendige: auf Systeme, Ideen, Entwicklungen, Werte, Natur, Umwelt, sogar auf das, was wir als Schöpfung begreifen.

Resilienz in diesem Sinne bedeutet, mit diesem weiten Blick durch das Leben zu gehen – zu erkennen, dass auch in Herausforderungen etwas Lebendiges steckt, etwas Sinnhaftes, wenn auch nicht immer auf den ersten Blick.

Wer so auf die Welt schaut, unterstellt jedem menschlichen Verhalten – selbst dem destruktiven, dem unverständlichen – eine positive Absicht. Das bedeutet nicht, alles gutzuheißen. Aber es heißt: zu verstehen versuchen, bevor man bewertet.

In dieser Haltung liegt die Grundlage für eine tiefer verwurzelte Form von Resilienz. Eine, die nicht aus Abwehr entsteht, sondern aus Verbindung.

Alles hängt zusammen – nichts kann isoliert bestehen

Resilienz wird oft individualisiert: „Wie belastbar bin ich? Was muss ich tun, um besser durchzukommen?“

Aber die systemische Perspektive erinnert daran: Kein Mensch lebt in einem Vakuum. Alles ist Teil eines größeren Zusammenhangs – geprägt von Beziehungen, Erfahrungen, Rollen, Geschichten.

Wenn ich mit dieser Weite auf das Leben schaue, erkenne ich: Auch meine Reaktionen sind nicht isoliert. Auch meine Überforderung, meine Unsicherheit, mein Zögern – sie entstehen in Wechselwirkung mit dem, was mich umgibt.

Das ändert den Blick. Aus der Frage „Was stimmt nicht mit mir?“ wird die Frage:

„In welchem Kontext befinde ich mich gerade – und wie wirkt er auf mich?“

Diese Perspektivverschiebung ist ein erster resilienzfördernder Schritt. Sie macht nicht schwächer, sondern freier. Denn sie erlaubt mir, mein Erleben zu verstehen, ohne mich dafür verurteilen zu müssen.

Selbstführung: die leise Kraft im Hintergrund

Wer resilient sein will, ohne auszubrennen, braucht mehr als Strategien – er braucht innere Führung.

Systemisch orientierte Menschen üben sich genau darin: in Selbst-Erkenntnis, Selbst-Führung und Selbst-Management.

Diese Begriffe wirken nüchtern, aber sie tragen Tiefe in sich.

Selbst-Erkenntnis heißt: zu beobachten, was mich bewegt und dies anzuerkennen.

Selbst-Führung heißt: bewusst zu entscheiden, wie ich reagieren will – auch unter Druck.

Selbst-Management heißt: meine Ressourcen im Blick zu behalten, Grenzen wahrzunehmen, Verantwortung zu übernehmen – für mich, nicht für alles.

Diese Form von innerer Steuerung ist kein Dauerzustand. Sie ist eher wie ein innerer Rhythmus, den ich immer wieder neu finden darf – je nachdem, wo ich gerade stehe.

Wertschätzung – auch uns selbst gegenüber

Ein zentraler Aspekt systemischer Haltung ist wertschätzende Kommunikation – mit anderen, aber auch mit sich selbst.

Das klingt selbstverständlich. Doch in herausfordernden Zeiten sprechen viele Menschen im Inneren einen anderen Ton: kritisch, hart, fordernd.

Resilienz heißt für mich auch: die Art zu verändern, wie ich mit mir selbst spreche.

Nicht in falscher Selbstermutigung („Du musst nur positiv denken“) – sondern in ehrlicher, zugewandter Sprache:

„Das ist gerade viel.“
„Du tust, was du kannst.“
„Du darfst dir Zeit nehmen.“

So entsteht innerer Boden. Kein schneller Trost, sondern ein Raum, der hält.

Und Resilienz braucht genau diesen Raum – nicht das Drüberstehen, sondern das Drinbleiben, ohne unterzugehen.

Achtsamkeit und Ambiguität

Ein weiteres Kennzeichen resilienter Menschen ist ihre Fähigkeit, Ambivalenz – die Mehrdeutigkeit des Lebens – auszuhalten.

Das Leben ist selten eindeutig. Entscheidungen sind nicht klar. Gefühle widersprechen sich.

Die systemische Haltung erwartet keine Eindeutigkeit. Sie anerkennt Mehrdeutigkeit als natürlichen Zustand.

Darin liegt eine stille Kraft. Wer nicht sofort kategorisieren muss („richtig“ / „falsch“, „gut“ / „schlecht“), kann offen bleiben für Zwischentöne.

Diese Offenheit ist kein Mangel an Klarheit – im Gegenteil. Sie lässt uns handlungsfähig bleiben in Zeiten, in denen einfache Antworten fehlen.

Achtsamkeit bedeutet in diesem Zusammenhang:

  • Nicht alles sofort einordnen zu müssen.
  • Nicht jedes Gefühl sofort erklären zu müssen.
  • Nicht jedes Problem sofort lösen zu müssen.
  • Manchmal ist es resilienter, zu fragen als zu wissen.

Offenheit als Haltung – nicht als Schwäche

Heutzutage werden oft schnelle Lösungen erwartet, da wirkt Offenheit manchmal wie Unsicherheit.

Doch aus systemischer Sicht ist sie eine Form von Stärke: kontextunabhängige, respektvolle Neugier – auf Menschen, auf Situationen, auf das, was sich zeigt.

Diese Offenheit hat nichts mit Beliebigkeit zu tun. Sie ist kein „Alles ist egal“. Sondern ein „Ich bleibe offen, auch wenn es unbequem wird.“

Offenheit heißt: dem Leben und seinen Möglichkeiten nicht vorschnell die Tür zuzuschlagen.

In stürmischen Zeiten ist genau das ein Ausdruck von Resilienz:

Nicht sofort zurückzuziehen und nur auf Altbewährtes zu setzen.
Sondern innerlich Raum zu schaffen für Neues – auch, wenn es noch keinen Namen hat.

Win-Win statt Kampfmodus

Resiliente Menschen müssen nicht immer gewinnen. Sie müssen nicht kämpfen, um stark zu wirken.

Was sie oft eint, ist ein anderes Ziel: Beziehungen zu gestalten, in denen alle wachsen können.

Systemisch gesprochen: Sie streben nach Win-Win-Lösungen. Nicht aus Harmoniebedürfnis, sondern aus der Einsicht, dass nachhaltige Lösungen immer mehrere Perspektiven brauchen.

Auch innerlich kann das bedeuten:

  • Nicht entweder „funktionieren“ oder „fühlen“ – sondern beides.
  • Nicht nur Anpassung oder Abgrenzung – sondern Beziehung.
  • Keine Stärke ohne Schwäche – sondern Stärke, die sich durch eine vorübergehende Verletzlichkeit hindurch entfaltet.

Resilienz ist Beziehung

Vielleicht lässt sich Resilienz am besten so zusammenfassen:

Systemisches Denken hat mich gelehrt, diese Beziehung nicht zu unterbrechen, auch wenn es schwierig wird.

Denn selbst in der Krise ist etwas in Bewegung. Und im Chaos steckt ein Anfang.

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